Architekturmanagement – zentrale Chance und Herausforderung gleichermaßen
Enterprise-Architekturen verknüpfen Geschäftsprozesse und Informationstechnik enger miteinander und machen Abhängigkeiten ebenso wie Wechselwirkungen für eine ebenso effektive wie effiziente Planung und Steuerung transparent. Ihre Einführung ist aber ein mitunter komplexer und nicht immer reibungsloser Prozess.
Die Digitalisierung ist in vollem Gang. Vernetzung, Integration und Interaktion nehmen immer weiter zu. Gleichzeitig beschleunigen sich die Innovationszyklen beinah exponentiell. Hatten grundlegende Business-Strategien früher nicht selten für Jahre oder sogar Jahrzehnte Bestand, verringert sich ihre Halbwertszeit nun rasant. Die strategische Ausrichtung muss daher ebenso in kürzeren Zyklen geprüft und gegebenenfalls kurzfristig und flexibel neuen Entwicklungen und Rahmenbedingungen angepasst werden können, woraus sich für alle der Strategie folgenden nachgeordneten Geschäftsebenen und Prozesse ebenso ein Anpassungsbedarf ergibt. Das gilt für die Bundeswehr im selben Maß wie für jedes Unternehmen.
Die IT als zentraler „Enabler“ der eigenen Prozesse und Aufgabenerfüllung in einer globalisierten und digitalisierten Welt wird sich damit zukünftig stark erweitern und verändern und wird neu geordnet.
Wurde in der Vergangenheit der Schwerpunkt einer IT-Unterstützung der Geschäftsprozesse auf einzelne Disziplinen wie Controlling oder Rechnungswesen gelegt, muss die IT heute viele neue und zusätzliche Ansprüche mit den bestehenden Anforderungen gleichzeitig innerhalb zentraler Abläufe der Organisation in Einklang bringen und damit erfüllen.
Enterprise Architecture Management – Herzstück eines strategischen IT-Managements
Eine IT-Strategie der Zukunft benötigt daher einen neuen und höheren Grad an Flexibilität und Transparenz über alle Prozesse. Wer aber dabei nicht schlüssig definiert, welche Ziele er in und mit der Digitalisierung verfolgt, wird die Übersicht über Abhängigkeiten und das Gesamtbild aus den Augen verlieren und sich in fruchtlosen Einzelmaßnahmen verrennen.
Einen wesentlichen Beitrag zur Lösung dieses Dilemmas leistet das Enterprise Architecture Management (EAM). Es unterstützt dabei, Zusammenhänge zwischen Strategie, Business-Architektur, Informationsarchitektur und IT-Architekturen zu erfassen und so die Organisation als Ganzes zu betrachten. Dazu stellt es eine bewährte Methodik und universelle Sprache zur Dokumentation des Ist-Zustands ebenso wie zur Festlegung der konkreten Ziele zur Verfügung und ermöglicht die Begleitung und den Nachweis der Zielerreichung.
Der Nutzen eines solchen architekturorientierten Ansatzes liegt auf der Hand: Wechselwirkungen und Abhängigkeiten werden transparent, Entwicklungen und Status Quo über die komplette Laufzeit lückenlos und gemäß einheitlicher und für alle Beteiligten nachvollziehbarer Standards dokumentiert und Trends und Optimierungspotentiale schneller abgeleitet und erkannt. Mitunter können sogar die Ziele der Organisation auf dieser Basis zukunftsorientiert neu ausgerichtet und auch kurzfristig flexibel und effektiv an neue Erfordernisse und Herausforderungen angepasst werden. Synergien lassen sich besser nutzen und doppelte Entwicklungsaufwände etwa für Schnittstellen und Komponenten oder teure spätere Anpassungen wirkungsvoll vermeiden.
Wenn etwa die Lebenszeit eines bestimmten technischen Systems – nehmen wir als Beispiel ein Funkgerätemodell – ausläuft, lassen sich in einer lückenlos dokumentierten Gesamtarchitektur schnell und zuverlässig sämtliche Einsatzorte, Abhängigkeiten, Schnittstellen und benötigte Kompatibilitätsanforderungen identifizieren, die bei der Konzeption und Anschaffung eines Nachfolgesystems zu berücksichtigen sind. Für die Sicherstellung der Gesamtheit aller benötigten Fähigkeiten aus strategischer Sicht noch bedeutender ist diese Transparenz bei einer geforderten Schließung einer Fähigkeitslücke durch neue Fähigkeiten: Hier lässt sich auf Basis der Gesamtarchitektur zuverlässig prüfen, ob die bisherigen Prozesse, Rahmenbedingungen, Informationsinhalte und die entsprechenden IT-Architekturen und Anwendungen auch weiterhin für die neuen Fähigkeiten und anzuschaffenden Systeme passen oder wo etwaige Anpassungen notwendig werden.
Um ein für die Unterstützung dieser Aufgaben effektives und umfassendes EAM zu erreichen, ist eine Reihe wichtiger Teildisziplinen zu berücksichtigen: Hierzu gehören das Anforderungsmanagement, Projektmanagement und Qualitätsmanagement ebenso wie das Service-, System- und Lizenzmanagement bis hin zu IT-Controlling, IT-Governance, IT-Recht & Compliance und nicht zuletzt das IT-Security-Management.
All diese Teildisziplinen beeinflussen sich gegenseitig, bilden Abhängigkeiten oder Ausschlusskriterien. Um hier ein übergreifendes, zielorientiertes und wirkungsvolles Handeln möglich zu machen, ist der Tool-gestützte Ansatz eines modernen EAM unerlässlich. Nur so lässt sich ein strategisches IT-Management realisieren, das die Anforderungen von heute erkennen und erfüllen lässt und gleichzeitig die Herausforderungen von Morgen vorhersagen und adressieren hilft.
Bedeutung des EAM erkannt – „Gefahr gebannt“?
Das Bewusstsein für die Bedeutung von Architekturen als Schlüsselbestandteil eines strategischen IT-Managements hat sich in der Bundeswehr weitgehend durchgesetzt. Vorgehen und Standards für die Definition und Gestaltung von Architekturen wurden und werden festgelegt und verfolgt. In verschiedenen Phasen des Customer Product Management zur Bedarfsermittlung und Bedarfsdeckung in der Bundeswehr (CPM) ist das Architekturmanagement als integraler Bestandteil verankert. Die für das IT-System der Bundeswehr, Architekturen und Interoperabilität sowie IT-Service Design und IT-Strategie zuständigen Untergruppen innerhalb der Gruppe Wirtschaft / Technik des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) übernehmen dabei die Aufgabe der methodischen Steuerung, Anleitung und Standardisierung sowie der Qualitätssicherung der entsprechenden textuellen Beschreibungen und den formal streng vorgegebenen Strukturen der speziellen Architekturdokumente.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich hier Theorie und Praxis gegenseitig überholen. Erkenntnisgewinne in der laufenden Verwendung von Methoden und Tools und das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung führen zu einer iterativen Weiterentwicklung von Definitionen und Leitfäden. In laufenden Projekten bereits erstellte Architekturkonzepte und Dokumentationen laufen dadurch zwar mitunter Gefahr, anpassungsbedürftig zu werden, doch hier auf eine von Beginn an fehlerfreie Goldrandlösung für alle Einsatzbereiche und alle Eventualitäten zu warten hieße, vermutlich niemals eine Einsatzreife zu erreichen.
Ein weiterer diffiziler Punkt ist derzeit noch der Umgang mit als „geheim“ eingestuften Informationen und Projektbestandteilen. Berechtigterweise stehen hier unterschiedliche Interessen und Vorgaben in Konflikt: Das Ziel eines wirkungsvollen Geheimschutzes bedingt, dass entsprechend geheime Konzepte, Schnittstellen oder Lösungskomponenten nicht ohne weiteren Schutz in einer gemeinsamen Bibliothek abgelegt werden. Gleichzeitig ist das Ziel einer schlüssigen Beschreibung und Dokumentation der Gesamtarchitektur eben nur mit allen beteiligten Komponenten sinnvoll zu erreichen, auch wenn bestimmte davon eben nur einem speziell berechtigten Personenkreis zugänglich sind. Hier steht eine abschließende Klärung noch aus.
Architekturmanagement als Prozess
Derartige beispielhafte Konflikt- und Reibungspunkte zeigen deutlich: Etablierung und Dokumentation der Bundeswehr-Architekturen ist ein Prozess und sollte auf allen Seiten auch als ein solcher verstanden werden. Und wie etwa auch bei der Entwicklung von neuen Software-Lösungen beispielsweise im DevOps-Konzept, bei dem die Entwicklung (Development) und der Betrieb (Operations) enger verzahnt miteinander an Lösungen arbeiten, sind Flexibilität und Agilität und eine enge Zusammenarbeit zwischen Bedarfsträgern und Bedarfsdeckern mehr denn je erforderlich, um angesichts der immer kürzeren Innovations- und Entwicklungszyklen handlungsfähig zu sein und zu bleiben.
Aus der langjährigen Projekterfahrung bei der Bundeswehr sind Dienstleister aus der zivilen Wirtschaft und Industrie hier die idealen Sparringspartner für die Bundeswehr. Sie kennen die Hintergründe der Projekte, Infrastrukturen und Org-Strukturen aus unterschiedlichsten Bereichen ebenso wie die zuständigen Abteilungen und Vorgaben. Nicht selten ist ein Blick von außen und eine entsprechende Mittlerrolle zwischen den gleichsam berechtigten Interessen auf Fach- und Vorgabenseite immens wertvoll, um die in jedem derart komplexen Prozess immanenten Stolperfallen zu umgehen und Abstimmungshürden erfolgreich zu meistern.
Auch in praktischen Bereichen, etwa bei der Erstellung der für die Mitzeichnung durch die qualitätssichernden Stellen notwendigen Text- und Architekturdokumenten verfügen die zivilen Partner über das fachliche Know-how in Tools, Modellen und Frameworks, die technische Expertise und den prozessualen Hintergrund, um die Konzeption, Gestaltung und Dokumentation von Architekturen über den gesamten Lebenszyklus vom Anforderungs- bis zum Aussonderungsmanagement optimal unterstützen zu können.
Im Umfeld des Flugführungsdienstes beispielsweise begleitet CONET die operationellen Architekturanteile im Unterauftrag des für die fachliche Beratung zuständigen Generalunternehmers steep seit Beginn der Architektureinführung im Projekt. Neben der Erstellung der operationellen Architektur unterstützt CONET bei der Dokumentation der Anforderungen im Projekt. Diese Dokumentation von Anforderungen und Prozessen ist in einem engen methodischen Zusammenhang zu betrachten, da eine modellbasierte Anforderungserhebung ein wesentliches Kriterium für die zielgerichtete Beschaffung und Implementierung von prozessorientierten IT-Lösungen darstellt. Hier soll auch ein eigens entwickeltes Prüfwerkzeug zum Einsatz kommen, das dabei hilft, die Einhaltung der formalen Kriterien in den Architekturdokumenten sicherzustellen. Damit werden Aspekte des Architekturmanagements zukünftig noch zielgerichteter unterstützt und einfacher umsetzbar – ein wesentlicher Aspekt, um den weiteren Weg hin zu funktionalen Architekturen und einem schlüssigen Gesamtbild zu ebnen.
Der bisherige gemeinsame Erfolg gibt derartigen Kooperationsmodellen von Streitkräften und hochqualifizierten, erfahrenen Partnern von ziviler Wirtschaftsseite recht und findet zunehmend zahlreiche Parallelen in anderen Bereichen der Bundeswehr.
Denn bei allen etwaigen Schwierigkeiten bleibt ein festes Commitment zu strategischem IT-Management und Architekturmanagement unverzichtbar. Der Nutzen für die Bundeswehr ist sowohl organisatorisch als auch finanziell immens. Ganz abgesehen davon, dass eine gezielte fortschreitende Digitalisierung und eine effiziente Steuerung, Weiterentwicklung und Nutzung der Bundeswehr-IT bei schon jetzt grob geschätzt rund 5 Millionen Systemen ohne strategisches IT-Management und damit auch ein durchgängiges Architekturmanagement zukünftig gar nicht zu leisten sein wird.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im IT-Report 2018 des Mittler-Report-Verlags zur AFCEA-Fachausstellung 2018.
Über den Autor
Michael Exner ist als Geschäftsführer der CONET Solutions GmbH und Bereichsleiter Communications für die Themen Kommunikationslösungen auf Basis Voice over IP, Contact-Center-Lösungen sowie Applikationsintegration und Individualentwicklungen verantwortlich.